Kleine haarige Geschichte 14
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Brigitte
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Lange Haare mit 50? Nein! Die knielangen Zöpfe müssen ab. So
meinten es ihre Bekannten, na ja, Bekannte halt.Sie hatte ja selbst ein
wenig Zweifel, eine "reife Frau" mit so langen Haaren? Ob ihre eine
"Pudelfrisur" besser stehen würde? Zumindest die kurzhaarige
Nachbarin würde es zufriedenstellen. Die lag ihr schon so lange in
den Ohren, mit ihren Vorstellungen einer frechen poppigen
Kurzhaarfrisur. Oder meinte sie "peppig"? Dabei sah sie aus wie ein
gerupfter Papagei.
Oder wie ein explodierter Handfeger, na ja, man wollte ja keinen Streit.
Mit den langen Zöpfen, das wäre ja das reinste Mittelalter,
Nein, ankommen im Jahre 2010, das ist angesagt.
Sie wollte ja sozialverträglich sein *seufz*. Der Chef hatte sie
auch schon angemahnt, die Kunden, ja die Kunden. Als wenn die ewige
Seligkeit von deren Einstellung abhängen würde.
Sie stand vor dem Spiegel, bewunderte die Pracht ihrer Haare. Sie
hüllten sie ein, verdeckten ihre Nacktheit. Sie mochte dieses Bild.
Knielange Haare, wenn die wüssten. Die Haare lagen auf dem Boden,
verdeckten ihre Füße. Ja, sie hatte ein bisschen Erfahrung
damit, die Haare kürzer erscheinen zu lassen.
Das musste erst einmal genügen.
Sie flechtete ihre Haare, so dass ein Teil der Länge verdeckt
wurde. Am Ende hatte sie gerade mal taillenlange Zöpfe. Dicke
Zöpfe, na ja, dicke Haare durften ja sein.
Wieder auf der Arbeit.
"Oh, die Haare sind kürzer geworden. Das ist der erste Schritt in
die richtige Richtung".
Anerkennung ihrer Arbeitskollegin.
Der Chef: "Die Haare sind immer noch viel zu lang. Denken sie an unsere
Kundinnen, sie fühlen sich dadurch abgestoßen. Ich wurde
schon mehrmals darauf hingewiesen"
Was tun? Am nächsten Tag hatte sie ihre Haare unter der Kleidung
versteckt und eine poppige Kurzhhaarperücke aufgesetzt.
Die Kollegin griff ihr doch tatsächlich in den Nacken, fühlte
die langen Haare mit den Fingern.
"Nein, das sieht man doch, das das nicht echt ist."
Eine Ohrfeige. Was die sich einbildete. Aber nun? *Seufz*. Den Job
wollte sie nicht aufgeben. Als Langhaarige arbeitslos, von der
Sozialgemeinschaft finanziert? Nein, das wollte sie nicht. Es gab hier
keine Kollegin, die ihre langen Haare mochte. Ansonsten war das
Betriebsklima ja nicht schlecht. Irgendwie stand sie mit ihren Haaren
aber doch ziemlich im Abseits. Und sie war ja auch schon 50. Momentan
ging es ihr auch nicht so gut, vielleicht eine Grippe, die sich
ankündigte. In der Mittagspause würde sie zum Frisör
gehen. Es musste jetzt alles sehr schnell gehen, ganz schnell.
Also beim Frisör.
Dort saß sie nun im Frisierstuhl, die langen Zöpfe hingen
hinten über die Stuhllehne bis auf den Boden. Sie hatte nichts
mehr zu verstecken.
"Wie hätten sie es denn gerne"
"Erst einmal die Zöpfe abschneiden. Dann ganz kurz, die Ohren
frei, rot einfärben."
Die Frisöse nahm einen der Zöpfe in die Hand, in der anderen
Hand die Schere.
"Sind sie sich da ganz sicher?"
"Nein, das bin ich nicht. Aber ich habe keinen Zuspruch für die
langen Haare, außer durch mich selbst. Und wenn sie schon
abmüssen, dann auch ganz kurz und eine andere Farbe. Die
Änderung muss radikal sein. Ich will mich gar nicht mehr
wiedererkennen, im Spiegel."
Eine Träne kullerte aus dem rechten Auge.
Die Frisöse legte die Schere beiseite.
"Sie haben sehr schöne lange Haare. Wenn sie die Haare nicht
unbedingt los werden wollen, lassen sie die Haare doch so wie sie sind.
Glauben sie mir, es gibt auch viel Bewunderung für lange Haare und
ihre Haare sind wirklich außergewöhnlich schön. Wissen
sie was, lassen sie uns ein Langhaarvideo machen, dann sehen sie
selbst, wie schön die Haare sind. Sie sind auch nicht die einzige
mit superlangen Haaren, sehen sie die junge Frau dort mit ihrem
riesigen Dutt?"
"Wow, das ist schon beeindruckend."
Sie lächelte die junge Frau an, ganz spontan. Die junge Frau
lächelte zurück. Nun bekam sie Angst um deren Haarpracht.
Und, ja, auch ihre eigenen Haare waren sehr schön, da konnte sie
nur zustimmen. Nein, sie wollte sie behalten.
"Danke für ihre Ermutigung, das habe ich wirklich gebraucht."
Nun wurde erst einmal ein Video gemacht. Heute ging sie nicht mehr
zurück auf die Arbeit.
Das Internet. Gleich am ersten Tag bekam sie den Zuspruch, den sie so
sehr vermisst hatte.
Und sie erschien am nächsten Tag wieder mit bodenlangen
Zöpfen auf der Arbeit.
Dem Chef fiel die Brille von der Nase: "Wo waren sie überhaupt
gestern nachmittag? Nein, so geht das nicht. Die Haare kommen ab oder
sie können sich einen anderen Job suchen."
"Dann eben nicht. Suchen sie sich jemand anderen."
Hoch erhobenen Hauptes verlies sie die Firma. Und was sie ein bisschen
verwunderte, eine Kollegin, die das ganze mitbekommen hatte, sie
küsste sie zum Abschied direkt auf den Mund. Eine andere umarmte
sie. Plötzlich schienen alle sie zu mögen.
Arbeitslos, na ja, ein bisschen Geld hatte sie ja angespart. Nun
würde sie Dinge machen, die sie bisher versäumt hatte.
Sie dachte über ihr Leben nach.
30 Jahre Berufsleben mit langen Haaren, sie hatte auch viel Freude
damit gehabt. So richtigen Halt konnte sie aber nicht finden, in ihren
Beziehungen. Manchmal geriet sie an einen Haarefetischisten, das ging
ihr dann zu weit. Einerseits liebten sie ihre Haare, behaupteten sie,
und sie schmusten damit herum, aber was auch manchmal herauskam, sie
wollten ihr die Haare abschneiden. Heimliche Wünsche. Nein, sie
wollte kein Abschneidevideo machen, auch wenn sie damit einiges
verdienen konnte. Sie wollte auch keine Beziehung, in der ihre Haare
der zentrale Teil darstellten, sie brauchte Persönlichkeit,
Auseinandersetzung, Kommunikation, Austausch von Gefühlen
über sich, die anderen und die Welt, nicht nur über die Haare.
Manchmal geriet sie fast an den Richtigen, aber die hatten dann oft
Probleme mit der Länge ihrer Haare. Zu pragmatisch ausgerichtet.
Nein, für eine Beziehung wollte sie die Haare nicht abschneiden.
So blieb sie langhaarig, aber auch oft allein.
Abitur hatte sie ja. Im nächsten Semester, sie wollte ein
Mathematikstudium beginnen. Ein bisschen Informatik und Physik sollte
auch dabei sein.
So saß sie nun zwischen den jungen Studenten und Studentinnen,
mit bodenlangen offenen Haaren. Und sie bekam mehr Zuspruch für
ihre Haare, als sie sich jemals hatte träumen lassen. Manchmal
wurden ihre Haare fast unbeabsichtigt zärtlich gestreichelt, und
es war kein bisschen Peinlichkeit dabei.
Es war schön, so in den Gefühlen drin zu sein, ihnen Ausdruck
zu geben und gleichzeitig an der Welt der Wissenschaft teilzunehmen. Es
beflügelte ihren Intellekt. Mit den Inhalten gab es manchmal
Probleme, aber Probleme sah sie als eine Herausforderung an und meisten
fand sie auch ihre eigene Lösung. Arbeit gab es auch, und so
konnte sie ihr Leben weiterhin finanzieren. Vielleicht würde sie
eines Tages selbst unterrichten können und dabei zeigen, dass
Wissenschaft und Gefühl keine Widersprüche sein müssen.
...
Brigitte mit ihren körperlangen Haaren. Sie hatte gerade ihren 51.
Geburtstag gefeiert und studierte nun Mathematik, Physik, Informatik.
Die junge Frau neben ihr, im vollbesetzten Hörsaal, sie
lächelte sie an.
"Sie haben so schöne lange Haare. Passen sie gut auf sie auf. Ach,
enschuldigen sie bitte, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, ich
heiße Alexa."
"Alexa, habe ich sie nicht schon einmal gesehen? In diesem
Frisörsalon. So vor einem dreiviertel Jahr? Ich bewunderte schon
damals ihren riesigen Dutt und hatte dabei mehr Angst um ihre Haare als
um meine eigenen"
"Ja. Fast hätte ich mich benerkbar machen müssen *grins". Die
schönen langen Haare."
"Danke Alexa, aber wenn ich deine Hochsteckfrisur so sehe, da ist sehr
viel da drin, von dem ich träumen kann."
Alexa löste ihren Dutt, ein Flut von Haaren ergoss sich über
ihren Körper, die Bank, den Stuhl, floss auf den Boden. Beide
saßen in der ersten Reihe. Der hereinkommende Dozent musste erst
einmal seine Brille zurechtrücken.
"Ähem. Beginnen wir nun mit der heutigen Vorlesung. Lange Haare
und ihre Wirkung auf die Raum-Zeit-Struktur, äh, ich meine
"kosmische Strings und die Topologie der Raumzeit"..."
Alexa musste grinsen.
Am Ende der Vorlesung, eine ganz traurige junge Frau saß neben
ihnen.
Alexa: "Warum bist du so traurig?" :-(
"Ach, ihr habt so schöne lange Haare, und meine dünnen
Fusseln? Ich muss mich ja dafür schämen, dass ich sie
überhaupt lang wachsen lasse."
Alexa: "Nein, nein, du hast doch so schöne Haare. Ich bin ganz
bestimmt ein bisschen feenhaft, das bin ich, aber deine Haare, sie
gehören doch dir, du hast sie, damit sie dir Freude machen. Sei
bitte nicht so streng mit ihnen. Ich mag deine Haare. Und unsere
eigenen Haare, sie sollen doch auch anderen Freude machen. Komm mit
uns, spielen wir ein bisschen mit unseren Haaren."
Brigitte und Alexa umarmten sie.
Fast war sie schon wieder am lächeln.
Brigitte
