Anastasia, ein Langhaarmodell zwischen Schönheit und Sklaverei.
Anastasia
Anastasia hatte heute Geburtstag. 14 Jahre wurde sie alt. Oder eher
jung?
In der linken Hand hielt sie einen Strang ihrer super langen Haare,
in der rechten Hand einen Kamm. Sie betrachtete nachdenklich ihre
langen Haare.
Mochte sie ihre Haare wirklich so gerne oder hasste sie sie sogar?
Sie waren schön, wunderschön. Blond mit weißen, gelben, roten,
braunen und grünen Streifen. In der Sonne leuchteten sie manchmal
wie ein Diamant.
Oder wie ein Regenbogen. Ja, sie liebte Regenbögen und ihre farbigen
Haare, wenn sie damit wetteiferten. Sie hoffte so sehr, dass sie
ihre Farben behalten durfte und nicht jemand auf den Gedanken kam,
die Haare hellblond färben zu müssen. Weil das gerade die große Mode
war. Nein, dann würde sie sie lieber abschneiden.
Aber das durfte sie nicht.
Die Haare schränkten sie sehr ein, in ihrer Bewegungsfreiheit. Wie
sollte sie auch mit dreifach Körper langen Haaren im Freien
herumlaufen? Die Haare durften sich nicht ineinander verwirren. Das
Auseinanderpulen dauerte manchmal einen ganzen Tag.
Und das Waschen und Trocknen ging auch nicht viel schneller.
Wenn die Haare ineinander verwickelt waren, jedes einzelne Haar
musste dann ganz sanft aus den Knoten heraus gelöst werden.
Oh ja, die Pflege der Haare. Wenn die Menschen so sanft miteinander
umgehen würden, wie sie mit ihren langen Haaren, die Erde wäre ein
Paradies.
Manchmal fühlte sie sich wie ein Sklave der Haare oder der Menschen,
die ständig mit verzückten Gesichtern auf sie starrten. War sie denn
ein Edelstein zum Anglotzen, der immer nur still dasitzen musste?
So etwas Schönes hätte man noch nie gesehen. Haare, in dieser Fülle,
die bis auf den Boden reichten. Völlig glatte lange Haare, kein
Glätteisen war dafür notwendig. Obwohl, wenn die Reklamegesellschaft
das von ihr verlangte?
Nur durch dieses Glätteisen wären die Haare so schön glatt geworden?
Nein, sie wollte sie nicht verbrennen oder anderweitig zerstören.
Und überhaupt, die wussten noch nicht einmal, wie lang ihre Haare
wirklich waren. Sie trug sie ineinander gewunden, so dass man die
wahre Länge nicht sehen konnte. Und dann reichten sie ihr bis zu den
Füßen.
Die Haare verdeckten ihr Gesicht manchmal fast vollständig. Nur die
Nase und ein Äuglein blieben dann noch frei.
Sie konnte sich hinter ihren Haaren verstecken. Die Menschen wollten
ja ohnehin nichts anderes von ihr sehen.
Sie schaute in den großen Spiegel, der eine ganze Wand des Raumes
einnahm. Ja, die Haare waren schön ... wunderschön ... aber wo blieb
sie dabei?
Alles in ihrem Leben drehte sich um die Haare. Sie war mit ihren
vierzehn Jahren bereits ein Supermodell. Für lange Haare.
Nur wie frei war sie dabei? Oder anders gefragt, war sie jemals frei
gewesen? War sie nicht nur ein Objekt der Begierde für andere?
Boris Großenklau hatte eine halbe Million in sie investiert und er
wollte etwas dafür haben. Nicht nur ihre Bilder. Sie fürchtete den
Tag, an dem er ihr gegenübertreten würde. Es hieß, dass er sich nur
für Jungfrauen interessierte und wenn es dann vorbei war ... musste
sie ihm dienen, als Edelprostituierte im Club der Milliardäre.
An die 30 Mitglieder gab es dort. Aber so genau wusste man das
nicht.
Dabei war sie dort gar nicht freiwillig eingetreten. Vor 3 Jahren
hielt eine große schwarze Limousine auf offener Straße neben ihr ...
und sie wusste, dass sie diese Einladung nicht ablehnen durfte.
Ihre Eltern wurden mit 20000 Währungseinheiten abgespeißt.
So war das Leben nun einmal hier.
Patorga saß in dem Wagen, der Pate der Orga. Eine weltweit
operierende Organisation, die mehr Macht auf sich vereinigte als die
Regierung und das Militär. Akte-X lässt grüßen.
Ja, sie kannte diese Geschichten. Und sie mochte sie. Warum half ihr
kein paranormales Wesen aus diesem Gefängnis zu entkommen?
Oder ein weinender Engel aus den Doktor Who Geschichten. Der diesen
Patorga einfach in die Wüste schicken könnte ...
Nun, es bleibt nicht immer alles so wie es ist.
...
Letzte Nacht hatte sie einen seltsamen Traum. Sie würde Besuch
bekommen und sollte sich nicht erschrecken. Alles würde gut.
...
Es klopfte an der Tür.
...
Sie öffnete und sah eine Frau, deren Schönheit sie beinahe blendete.
Sie trug einen großen schwarzen Hut und rote Gewänder, die fast bis
auf den Boden reichten. Der Stoff ... er sah so ungemein wertvoll
aus und er funkelte aus den vielen kleinen Lichtern, die dort
eingewebt waren.
Alle Farben des Spektrums waren vertreten und sie interferierten
miteinander. Alles war in Bewegung und harmonierte mit einander, es
war wunderschön.
Anastasie konnte nur schauen, mit großen weiten Augen.
"Na, wenn ich schon mit einer solchen Schönheit reden darf, dann
will ich auch nicht hinten an stehen. Darf ich eintreten, liebe
Anastasia? Mein Name ist Janina."
"Ja ... ja ...bitte, kommen Sie doch herein."
Eine fremde Frau, die doch so ungemein vertraut war. Wie hatte sie
es nur geschafft, bis zu ihrer Tür durchzukommen? An den ganzen
Türwärtern vorbei?
Janina? Hatte sie den Namen nicht schon einmal gehört oder gelesen?
"Ich bin Janina von Wolke 7."
...
"Janina ... "
Anastasia konnte gar nicht mehr denken. Alles in ihr war voller
Gefühl. So etwas hatte sie noch nie erlebt.
"Anastasia, bitte komme ein wenig zur Ruhe. Gefühle können sehr
schön sein, aber sie sind nicht alles. Du kannst auch denken!"
Ja, denken. Wolke 7. Ohhhh. Nie hatte sie damit gerechnet. Dass sie
als kleines armes Wesen dort jemals Beachtung finden würde ...
"Das Potential der Menschheit liegt bei den kleinen Wesen, die zu
begreifen versuchen. Nicht bei den Machtmenschen. Wir helfen den
kleinen Wesen."
Ich bin ein kleines Wesen, ja das bin ich. So klein, ganz klein ...
"Anastasia, Du bist wertvoll und wichtig. Versuche bitte ein wenig
Abstand zu gewinnen, zu Deinen Gefühlen. Du kannst das. Du bist hoch
intelligent."
Ich und intelligent? Ja, vielleicht, wenn man mich lässt.
"Janina, gib mir eine Schere. Damit ich endlich diese Haare
abschneiden kann und frei bin! Ganz oben, damit die Ohren frei sind
und hören können."
"Anastasia. Bitte übereile nichts. Wenn Du die Haare so weit oben
abschneidest, sind sie erst einmal weg. Das Nachwachsen dauert sehr
lange. Die Haare sind nicht schuldig an allem. Vielleicht hättest Du
auch super lange Haare aus dem freien Willen heraus. Wir können Dir
mit den Haaren helfen, so dass sie zu keine Belastung mehr werden."
"Nein, ich will sie endlich los werden."
"Nun, Dein Wille ist entscheidend. Die langen Haare musst Du selbst
wollen. Sie sind nicht für andere."
"Kannst Du sie mir abschneiden?"
"Wenn Du es willst, tue ich es."
"Aber ... Dein Hut macht mich neugierig. Vor allem auch, was
darunter ist."
Janina nahm ihren Hut ab ... und ein Wasserfall von Haaren ergoss
sich in den Raum.
"Oh. Wie lang sind die denn?"
"30 Meter. Die Standardhaarlänge auf Wolke 7."
...
"Dann ... mit meinen 6 Meter langen Haaren. Kann ich dort gar nicht
hin."
"Es kommt darauf nicht an. Du kannst auch kurzhaarig mit mir
kommen."
"Aber ... wenn meine Haare ganz kurz sind, so 1 cm Länge und ich
sehe dann Deine ... ich mag doch lange Haare."
"Du musst Dich nicht gleich entscheiden. Die wichtige Frage ist,
willst Du mit mir kommen?"
"Ja"
...
Lautes Klopfen an der Tür.
"Der Boris. Das muss der Boris sein."
"Den lassen wir draußen. Oder willst Du ihn unbedingt sehen?"
"Nein."
"Die Tür kriegt von denen niemand mehr auf. Auch die Wände sind
dicht. Vielleicht gibt es ihnen zu denken."
So leicht wollten die dort draußen nicht aufgeben. Der Lärm
steigerte sich. Man hörte Pressluftbohrer.
Ob die einen Tunnel durch die Wand graben wollen?
"Leiser."
Die Geräusche ebten ab. Nur ein leises Hintergrundgeräusch blieb
übrig.
"Dann lass uns gehen."
Mit einem mal hatte Janina mächtige Flügel, mit einer Spannweite bis
zu 6 Metern. Wie konnte sie nur damit nur in diesen kleinen Raum
passen?
"Die Dinge sind nicht immer so wie sie scheinen. Wir fliegen durch
die versteckten Dimensionen. Die sind überall. Man muss sie nur
finden."
Mit einem mal war ein dunkles schwarzes Loch zu sehen. Mitten im
Raum.
"Anastasia, bitte halte dich an mir fest."
Nachdem Anastasia ihre Arme um den Körper von Janina geschlungen
hatte ...